Die Entwicklung von Strausberg-Vorstadt (bis 1945)
Ursprünglich war das Gebiet der heutigen Vorstadt nicht besiedelt und wurde als Städtischer Forst genutzt. Die ersten Gebäude, die urkundlich erwähnt wurden, waren die Schlagmühle, später die Schneide- und alte Walkmühle. Die Zollstätte Schlag der Stadt Strausberg, am Fließ zwischen Herrensee und Schlagmühle, bestand bis 1789, als das Zollprivileg aufgehoben wurde. Ein weiteres Gebäude, der Schießstand für das Füsilier-Bataillon des 7. Brandenburgischen Infanterie-Regiments, befand sich in der heutigen Friedrich-Engels-Straße und wurde von 1860 bis 1868 genutzt.
Straßen gab es damals nicht. Nur zu den Mühlen führten einfache Wege. Im Jahre 1855 entschloss man sich, die Bäume südlich der Landhausstraße abzuholzen und als Weideland zu verkaufen. Bereits 1874 teilten sich 11 Eigentümer das Areal.
Die Besiedlung der Vorstadt ging erst mit der Inbetriebnahme der Königlichen Ostbahn am 1. Oktober 1867, die von Berlin über Strausberg nach Küstrin fuhr, voran. Das Gelände, auf dem der Bahnhof gebaut wurde, gehörte zum Königlichen Forst Rüdersdorf. Es entstanden ein Empfangsgebäude, Güterschuppen, ein Wasserturm, drei Wohnhäuser für Bahnbeamte. 1901 und 1925 wurden neue Wohnbauten, 1915 ein Übernachtungsgebäude für Bahnbeamte gebaut.
Nach Inbetriebnahme der Ostbahn begannen die Landbesitzer mit der Parzellierung ihrer Güter. Als Pionier der Vorstadt sei in dieser Hinsicht der Dachpappen-Fabrikant Rudolf Milkau genannt. Er teilte sein Land 1871 in Bahnhofsnähe auf und fand sofort Nachahmer. Der Mühlenbesitzer Müncheberg (Schneidemühle) kauft das Gelände an der Ernst-Thälmann-Straße und legte später dort eine Siedlung an. Kaufmann Kurze kaufte 1880 Schlagmühle und seine Erben parzellierten dieses Gebiet.
Dem Bau von massiven Wohnhäusern stand nichts mehr im Wege. In der Hennickendorfer Chaussee entstand 1884 das erste Wohnhaus. Es folgten die heutige Gaststätte Waldidyll und ein Mehrfamilienhaus in der Bahnhofstraße, erbaut durch Milkau. In der Ernst-Thälmann-Straße entstanden auf der westlichen Straßenseite 1871 mehrere Villen und Landhäuser. Auffällig war, dass vor 1895 gebaute Häuser mehr als 20 m von der Straße entfernt errichtet wurden. Man vermutet, dass der Platz für eine Eisenbahntraße Richtung Stadt freigehalten wurde. Der Plan, 1874 eine Pferdebahn in Richtung Stadt zu bauen, wurde bereits drei Jahre später aus finanziellen Gründen verworfen.
Bis 1892 war die Bautätigkeit in Vorstadt noch gering. Auf dem Stadtgebiet standen: 7 Villen, 4 Einfamilienhäuser, 1 Zweifamilienhaus, 5 Mietshäuser, 2 Gaststätten (Waldidyll und Landhaus) und eine Ziegelei. An eine Infrastruktur war nicht zu denken. Bis 1891 gab es auch keine Einkaufsmöglichkeiten. Die Einwohnerzahl belief sich auf ca. 250 Personen.
Trotzdem gründete sich 1887 der Verschönerungsverein Strausberg. Er trat u.a. für die Aufstellung von Bänken an der Promenade zum Bahnhof ein, kritisierte die Abholzung der Promenade vom Herrensee bis Forsthaus Schlag, war für die Verbreiterung des Fußweges rechts von der Bahn-Chaussee und für die Pflege der Bäume an der linken Seite (von der Altstadt aus gesehen).
Nach dem Bau der Strausberger Eisenbahn entstand 1893 die Villen-Kolonie Strausberg-Vorstadt. Die Jagen 47 und 48 (Ernst-Thälmann-Straße im Osten, Landhausstr. im Süden, im Westen Haltestelle Schlagmühle entlang der Strausberger Eisenbahn bis Landhausstr./ Ecke Am Sportpark und im Norden die Grundstücke E.-Thälmann-Str. 62 und G.-Kurtze-Prom. 48) wurden in 176 Parzellen mit je 1.200 bis 1.600 m² zum Preis von 1,50 Goldmark pro m² angeboten. Es galt die Auflage, nur Wohngebäude im Villenstil zu bauen. Fabriken und Krankenanstalten waren strikt verboten. Die Käufer wurden verpflichtet, Kosten für Pflasterung der Straßen, Entwässerung, Beleuchtung und Anlegen von Bürgersteigen zu übernehmen. 1932 waren bis auf 27 alle Parzellen verkauft. Die Strausberger Eisenbahn baute neben dem kleinen Bahnhofsgebäude noch weitere Dienstwohnungen. Im Jahre 1913 kamen drei Wartehallen an den Haltestellen Landhaus, Schlag- und Hegermühle dazu.
Auf dem großen Areal des heutigen Sport- und Erholungsparks, wurde eine Pferderennbahn errichtet, auf der am 10.09.1899 das erste Rennen stattfand. Leider wurde diese nur bis 1945 genutzt. Angelegte Straßen erhielten Namen, wurden 1904 teilweise gepflastert und mit Sickerentwässerung versehen. Um die vorhandene Straßenbeleuchtung kümmerte sich der Nachtwächter. Er wartete die 16 Petroleum-Laternen, bis sie 1904 durch elektrische Beleuchtung ersetzt wurden. Im Jahre 1908 existierten bereits 61 elektrische Straßenlaternen. Systematisch wurden 1905 Bäume entlang der Straßen gepflanzt.
Für das Gebiet südlich der Landhausstraße wurde 1900 ein Bebauungsplan erarbeitet. Die Bewohner sollten nicht in Versuchung kommen, individuell Straßen anzulegen. Der Maurer- und Zimmerermeister W. Liesegang ersteigerte westlich der Strausberger Eisenbahn 1902 ein an der Landhausstraße gelegenes Gebiet von 12.000 m² für zwei Mark pro m² und vermarktete es. Die Grundstückspreise entwickelten sich von 1,50 Goldmark/m² im Jahre 1893 auf 5,00 RM/m² im Jahr 1934.
Weil sich die Einbrüche in Vorstadt häuften, sorgten sich die Bewohner um ihre Sicherheit. Reichten von 1900 bis 1907 ein Nachtwächter und ein Gendarm aus, waren 1921 schon 3 Gendarmen stationiert, Natürlich hatten sie auch eine Freiwillige Feuerwehr, die in der Durchführung der G.-K.-Promenade zur R.-Luxemburg-Str. 1904 ein Spritzenhaus mit Arrestzelle bekam. Zwei Jahre später besaß sie sogar eine handbetriebene Fahrspritze, die von 2 Männern gezogen werden musste. Und 1931 kaufte man ein Auto-Löschzug und war im Besitz von 2 Feuermeldestellen.
Der technische Fortschritt entwickelte sich weiter. Die seit dem 01.10.1867 im Bahnhof vorhandene `Postexpedition` zog 1902 in das neuerbaute Postgebäude gegenüber mit öffentlicher Sprechstelle um. Von 40 privaten Telefonen im gesamten Stadtgebiet entfielen auf Vorstadt im Jahre 1903 bereits 9 Anschlüsse. Forsthaus Schlag erhielt 1903 als erstes Gebäude Elektrizität. Ein Jahr später wurde der Rest mit 220 V Gleichstrom ausgestattet, ehe 1907 die Umwandlung in 220 V Wechselstrom erfolgte. Einen Wasseranschluss erhielten die Vorstädter erst 1910. Das Einkaufen erleichterten den Bürgern 1914 bereits 13 Geschäfte, davon ein Bäcker, Fleischer, ein praktizierender Arzt und 1918 zwei Kohlenhändler. Im November 1923 erfolgte die Grundsteinlegung des `Kameraden- und Erbauungsheimes`, in dem man ab 1927 regelmäßig Gottesdienste abhielt. (Heute Dietrich-Bonhoeffer-Kapelle)
In den Folgejahren war es üblich, große Grundstücke zu teilen, um auf ihnen Mehrfamilienhäuser zu errichten. Der Villenbau ging weiter zurück. Bei bestehenden Villen führte der Trend immer stärker zum Umbau, da zahlungskräftige Mieter durch Inflation und Weltwirtschaftskrise fehlten. Später entstanden überall Wochenendhäuser aufgrund der Wohnungsnot nach dem 1. und 2. Weltkrieg. Nach und nach wurden sie dann zu vollwertigen Wohnhäusern umgebaut. In der Bahnhofstraße existierte sogar von 1933 bis 1945 eine Tankstelle. Ein kleiner Fabrikraum, der im 2. Weltkrieg von der Fa. Elektrotechnik Fabrik Willi Hoch belegt war, entstand 1925 in der Paul-Singer-Straße 11 und in der Lindenpromenade 9 bis 13 wurden kurz vor Kriegsende noch 4 Bürobaracken und ein Betonbunker gebaut, den die Bauunternehmer Dyckerhoff & Widermann nutzten. Später wurden die Objekte wieder abgerissen bzw. gesprengt.
Strausberg-Vorstadt blieb bis Mitte April 1945 vom Kriegsgeschehen fast unversehrt. Bis auf die üblichen Versorgungsprobleme und die zwangsweise Abgabe von Wohnraum an ausgebombte Berliner, ging das Leben weiter. Die Rote Armee nahm das Gebiet kampflos ein und beschlagnahmte wahllos viele Villen und Häuser. Sie verhaftete etliche Bürger wegen tatsächlicher oder vermeintlicher nationalsozialistischer Vergangenheit.
Im Jahre 1945 fand auf Anordnung der SMAD die Enteignung diverser Villen und anderer Gebäude statt. Die Infrastruktur war am Boden. Erste Geschäfte öffneten wieder, hatten aber kaum Ware. Die ca. 2050 Einwohner mussten in der ersten Zeit ohne Strom- und Wasserversorgung auskommen. Im Herbst nach Kriegsende existierten an öffentlichen Einrichtungen in der Thälmannstraße 133 eine Grundschule, in der Nr. 95 eine Nebenstelle des Krankenhauses und in der Lindenpromenade ein Kindergarten mit Hort. Es war auch die Zeit, in der ein Großteil der Straßen in Namen von Kommunisten und Sozialdemokraten umbenannt wurde. Neubauten in den ersten Jahren nach dem Krieg gab es nicht. Alles beschränkte sich auf die Instandsetzung der vorhandenen Bausubstanz.
Quelle: Akanthus 15/2005
Wir danken Frau Karlson vom Heimatmuseum für die freundliche Unterstützung.