Unser kleines Team war bunt gemischt, Monika und Peter kamen aus der Schweiz, Gudrun und ich aus Deutschland. Über Istanbul flogen wir nach Van, in die Stadt, die am 23.10.2011 durch ein schweres Erdbeben erschüttert wurde. Über 1000 Menschen kamen dabei in der Provinz Van ums Leben. Die Schäden sind nicht zu übersehen. Nicht mehr bewohnbare Häuser, Baulücken und um die Stadt Containersiedlungen für alle, die ihr gesamtes Hab und Gut verloren haben. Nach einem kleinen Frühstück fuhren wir dann zum Van-See, um zur Insel Akdamar überzusetzen. Hier hatte die über 1000 Jahre alte Armenische Kirche endlich ein Kreuz erhalten und auch das Türkische Militär hatte sich von der Insel zurückgezogen, so dass wir uns auf der gesamten Insel frei bewegen konnten, was 2009 leider nicht möglich war. Auf dem höchsten Punkt der Insel konnten wir einen wunderschönen Ausblick auf den riesigen Van-See und deren Umgebung genießen. Am Stadtrand von Van besuchten wir dann noch die Kalesi-Zitadelle, an der gerade umfangreiche Sanierungsarbeiten stattfanden.
Am nächsten Morgen ging es nach Tatvan, wo wir eine kurze Stadtbesichtigung machten und dann weiter zum Nemrut. Am Kraterrand des riesigen Vulkans angekommen, machten wir erst einmal eine Pause, überwältigt von den gewaltigen Ausmaßen. Der Krater hat einen Durchmesser von 7 Km und einen Umfang von 40 Km. Sieben Seen bis zu 500 Meter Tiefe befinden sich in seinem Inneren und sein gewaltiger Ausbruch vor über 3000 Jahren ließ den Van-See entstehen. Eine reichhaltige Pflanzenwelt, Wölfe, Bären, Schildkröten und viele Schlangenarten haben sich im Laufe der Zeit hier angesiedelt. An einem der Seen bauten wir unsere Lager auf, um unsere erste Aklimatisationstour auf den 3100 m hohen Gipfel des Nemrut zu unternehmen. Es war für mich das erste Mal, dass ich einen Gipfel aus dem inneren eines Vulkans bestiegen habe. Auf dem Gipfel hatten wir einen weiten Ausblick über den Van-See und zu unserem nächsten Ziel, den schneebedeckten 4058 m hohen Süphan.
Der nächste Morgen begann mit einem Bad in einer der heißen Schwefelquellen, bevor wir eine Wanderung zum großen Kratersee unternahmen. Danach ging es für uns weiter zum Süphan. Unterwegs besuchten wir noch eine der ältesten Seldschukenfriedhöfe und zahlreiche Felsenwohnungen. Vorbei an einen der letzten Nomadendörfer am Süphan, erreichten wir unser Hochlager auf 2100 m. Wir bauten unsere Zelte auf, hatten endlich einen freien Blick auf den Gipfel des Süphan und waren erschrocken über die endlos erscheinende Aufstiegsroute.
Morgens um 4.00 Uhr weckte uns unser Bergführer Mehmet und nach einem kurzen Frühstück begann der lange Anstieg über endlos lange Schotter und Lavafelder, die immer wieder mit riesigen Schnee- und Eisfeldern überzogen waren. In 3600 m begann der schwierigste Teil der Besteigung des Nemrut mit seiner stolzen Höhe von 4054 m. Als erstes mussten wir ein riesiges steiles Eis- und Schneefeld, das in einem gewaltigen Labyrinth aus übereinander gestürzten Felsbrocken endete, überwinden. Steil ging es über diese Felsbrocken weiter in Richtung Gipfel, der unerreichbar schien. Ich wurde immer langsamer, denn die noch ungenügende Höhenanpassung machte sich immer mehr bemerkbar. Doch um 11.15 Uhr war es soweit, ich hatte den Gipfel des Süphan erreicht und wurde mit einem wunderschönen Rundblick bei herrlichem Wetter für all die Anstrengungen belohnt. Bis hinunter auf 3600 m erfolgte der Abstieg auf der Aufstiegsroute. Dann ging es, wie bei vielen Vulkanen, auf einer anderen Route über ausgedehnte steile Lavafelder in Richtung Hochlager, das wir nachmittags wieder erreichten. Nachdem wir unser Lager abgebaut hatten, ging die Fahrt nach Dogubayazit. Unterwegs, an einem schönen Wasserfall, feierten wir aber erst einmal die gelungene Besteigung des Süphan.
Der nächste Tag begann mit einem Stadtrundgang in Dogubayazit, bevor wir uns die Ausgrabungsstätte der Arche Noah anschauten. Am Nachmittag fuhren wir dann zu den heißen Schwefelquellen in den Tälern am Euphrat. Das Baden in einer der dortigen heißen Schwefelquellen war ein wirkliches Labsal nach der etwas anstrengenden Süphanbesteigung. Als nächstes stand die Besteigung des 5165 m hohen Ararat an, die bereits mit schlechten Nachrichten begann. Man teilte uns mit, dass die Wetteraussichten für die kommenden Tage sehr schlecht waren und eine Besteigung wie geplant, nicht möglich wäre, da am geplanten Gipfel- und Ersatztag schwere Unwetter und Schneestürme vorausgesagt wurden. Man sagte uns, wir müssten am 1. Tag Lager 1 in 3200 m Höhe erreichen und am nächsten Tag sofort das Hochlager in 4200 m Höhe aufbauen, um am dritten Tag in einem schmalen Zeitfenster zu versuchen, den Gipfel zu erreichen.
Da wir schon durch die Besteigung des Nemrut und des Süphan eine gute Höhenanpassung hatten, hielten wir den Plan für gut und verstauten unsere gesamte Ausrüstung in einen alten umgebauten LKW. Die Fahrt ging nach Eli und dann weiter auf einer Schotterpiste bis auf 1600 m Höhe. Dort wartete bereits unsere Begleitmannschaft mit ihren Packpferden auf uns. Alle Ausrüstungsgegenstände, Zelte und das Essen wurden zügig verstaut, um so schnell wie möglich, das Lager 1 zu erreichen und einzurichten. Das Wetter war schön, nur der Ararat hatte sein Haupt in dunkle Wolken gehüllt. In mir stiegen sofort die Erinnerungen von 2009 auf, wo alles so ähnlich begann und in 4000 m in einem schweren Schneesturm endete.
Wir nahmen unsere Tagesrucksäcke und begannen mit dem langen Aufstieg zum Lager 1. Vorbei an Nomadenlagern, mit ihren vielen Ziegen und Schafen, ging es bei immer schlechter werdenden Wetter stetig bergan, bis wir am späten Nachmittag endlich unser Lager erreichten. Wir hatte es gerade geschafft, es uns so gut wie möglich bequem zu machen, als bereits ein schweres Gewitter mit Hagel, Blitz und Regen über uns hereinbrach. Am Abend beruhigte sich das Wetter wieder und wir hatten sogar freien Blick auf den Gipfel und die gewaltige Tiefebene bis hinüber zum Iran.
Nach einem zeitigen Frühstück ging es weiter in Richtung Hochlager. Über Geröll und Schotter stiegen wir steil nach oben, den Blick in Richtung Gipfel gewandt, der immer wieder von gewaltigen Schneewolken eingehüllt wurde. Nach ca. sechs Stunden erreichten wir den Lagerplatz für unser Hochlager. Sofort begannen wir mit dem Aufbau unserer Zelte, was in dem Gewirr der Felsbrocken nicht gerade einfach war. Wie am Vortag fegte dann ein Gewitter über unser ausgesetztes Hochlager hinweg. Beim gemeinsamen Abendbrot im Kochzelt wurden dann die letzten Einzelheiten für den bevorstehenden Gipfelgang besprochen, bevor sich alle zu einer kurzen Nachtruhe in ihre Zelte zurückzogen, an denen der Wind heftig rüttelte. Um 2.30 Uhr war wecken und um 3.00 Uhr begann im Schein unserer Stirnlampen der lange und steile Aufstieg in Richtung Gipfel. Die Steilheit wollte einfach kein Ende nehmen und der Wind nahm ständig an Stärke zu. Unser erfahrener Bergführer Mehmet schien Schlimmes zu erahnen und stieg zügig mit uns bergan, ohne auch nur eine Ruhepause einzulegen. Der Wind und die Kälte wurden immer heftiger, so dass ich meine Gesichtsmaske und die ganz dicken Handschuhe anziehen musste.
Kurz vor dem Sattel des gewaltigen Gipfelaufbaus stand plötzlich ein einheimischer Bergführer vor uns und sprach die Bitte aus, auf eine französische Seilschaft mit achtzugeben. Er selbst würde absteigen, um nicht erfrieren zu müssen. Wir schauten uns an und konnten das Ganze nicht verstehen, wussten aber, dass es sich um sehr erfahrene Bergsteiger handelte. Im Sattel angekommen, gruben wir ein Loch in den Schnee und legten unsere Rucksäcke hinein, um es uns ein wenig leichter zu machen. Steil ging es nun immer im Zick Zack in Richtung Gipfel weiter. Der Sturm, der indessen zum Orkan ausgeartet war, machte uns unendlich zu schaffen. Am Gipfel angekommen, war der Orkan so stark, dass wir mit ungeheurer Wucht sofort auf die andere Seite gedrückt wurden. Ein Schluck Tee und ein Foto vom Gipfel, dann kämpften wir uns in gebückter Haltung wieder zurück in unsere Aufstiegsspur, um im Sattel unsere Rucksäcke wieder aufzunehmen. Nun stiegen wir über steile Schneefelder weiter Richtung Hochlager ab. Immer wieder brachte der Orkan gewaltige Mengen an Hagel und Eisstücke mit sich, die über uns herein bergabwärts stürzten. Ich konnte kaum noch etwas durch meine Gletscherbrille sehen und war deshalb gezwungen, sie abzunehmen. Dabei riss mir der Orkan meinen halb ausgezogenen Handschuh von der Hand und meine Mütze vom Kopf. Zum Glück habe ich solche Sachen immer doppelt bei mir.
Im Hochlager angekommen, konnten unsere Zelte kaum noch dem Sturm standhalten. Unter Aufbietung all unserer Kräfte bauten wir das Hochlager ab, um gleich weiter ins Lager 1 abzusteigen. 500 Meter tiefer war es endlich ruhiger geworden und wir konnten eine längere Pause einlegen. Im Lager angekommen, versuchten wir bei Tee und gutem Essen erst einmal das Erlebte zu verarbeiten, um uns zeitig in unsere Zelte zur wohlverdienten Ruhe zurückzuziehen.
Da Mehmets Schwester im Sommer mit der Familie am Ararat lebt, machte er uns den Vorschlag, das Nomadenlager zu besuchen. Nomaden verwehren normalerweise Fremden den Zutritt zu ihrem Lager. Dankbar nahmen wir das Angebot an und konnten für einige Stunden am Leben dieser Menschen teilhaben. Im Tal angekommen, brachte uns unser guter alter LKW sicher zurück nach Dogubayazit, um dort am Abend dann bei einem schönen langen Essen die letzten Tage noch einmal an uns vorbeiziehen zu lassen.
Als nächstes stand für uns der Besuch des Ishak Pasha Palastes an, dessen Restaurierung große Forschritte machte. Später besuchten wir dann noch eine Teppichmanufaktur, wo jungen Mädchen die Kunst des Teppichknüpfens gelehrt wird, um sie danach in die Selbständigkeit zu entlassen, was ihnen ein gutes Einkommen sichert. Am Nachmittag fuhren wir zu einem entfernten wunderschön in den Bergen gelegenem Fischsee, um zu relaxen und frisch gefangenen Fisch zu genießen. Nach dem Frühstück fuhren wir weiter nach Van, machten eine Stadtbesichtigung und erledigten unsere Einkäufe für die Daheimgebliebenen, bevor es über Istanbul für alle zurück in ihre Heimat ging.
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Bilder und Text: Dietmar Kuhl