Die schönsten Szenen bei Max Frisch.
Ein Lese-Verführer. - trafo Literaturverlag Berlin, Januar 2011 - Hommage an Max Frisch zu seinem 100. Geburtstag
Das Werk Max Frischs – ein Kosmos an Geschichten. Atemberaubend, verblüffend, bizarr und höchst unterhaltsam. Und gerade er sagt: Geschichten sind nicht das Leben; man kann sein Leben nicht erzählen. Folgt man ihm aber in seine Geschichten, die epischen wie die dramatischen, ist der Gewinn riesig. Immer wieder hat er darüber nachgedacht, wie der Einzelne in der modernen Gesellschaft leben kann, ohne sein Ich, die Übereinstimmung mit sich selbst, zu verlieren.
Es sei nicht die Zeit für Ich-Geschichten, und doch vollziehe oder verfehle sich das menschliche Leben am einzelnen Ich, nirgends sonst, meint er. Und so finden wir in seiner Literatur großartige Menschheitsgeschichten, die uns ergreifen, weil sie Grundmuster menschlichen Verhaltens darstellen – etwas, das jeden Einzelnen angeht. Da kann die Geschichte von Walter Faber, von Stiller, von dem Mann, der in Zürich seiner eigenen Beerdigung zuschaut, oder vom alten Herrn Geiser, der in einem kleinen Dorf im Tessin seinem Verschwinden etwas entgegensetzen will, was die ganze Menschheit umfasst, uns helfen, einen Orientierungspunkt für das eigene Leben zu finden, helfen, einen Pflock einzuschlagen in einer immer unübersichtlicheren Welt.
Frisch schreibt und schreibt, Dramen, Romane, Erzählungen, Filmscripts, Essays. In Zürich 1948/49 mit Bertolt Brecht befreundet, nimmt er vielfältige Anregungen von ihm auf und entwickelt eine kritische Sicht auf die Welt. Er bekennt sogar, er schreibe, weil ihm Schreiben noch eher gelingt als Leben. Für ihn also der Rettungsanker, um in dieser Zeit nicht unterzugehen. Seine Literatur wird stets eine Mischung aus autobiographischer Erfahrung und biographischer Fiktion sein.
In seinem literarischen `Tagebuch 1946-1949` hat Max Frisch über die Begegnungen 1947/48 mit Brecht geschrieben, der aus dem amerikanischen Exil nach Zürich zurückgekehrt war. Es wurde daraus eine intensive Arbeitsbeziehung und eine persönliche Freundschaft. Im April 1948 hält Frisch im Zürcher Bücherkeller `Katakombe` eine kleine `Rede auf Bertolt Brecht`. Darin heißt es: Die Schärfe und Härte, die sein Wort hat, erscheint als Ausdruck der Liebe, sie richtet sich nicht gegen den Menschen, sondern gegen alles, was den Menschen versklavt. Einer der schönsten Sätze, die je über Bertolt Brecht gesagt wurden. Ein Satz von einem Freund.
Max Frisch hebt an Brecht das vollkommen Uneitle hervor, das Neugierigsein auf andere Menschen, auf deren Vorschläge, zum Beispiel zu seiner Theaterarbeit. In Bertolt Brecht erkennt Frisch einen der wenigen, die er als große Menschen bezeichnen würde, und befragt, worin die Größe von Brecht eigentlich bestehe, würde er verlegen werden: Eigentlich sei es jedes Mal dasselbe gewesen, kaum hatte man ihn verlassen, wurde Brecht umso gegenwärtiger, seine Größe wirkte im Nachhinein, beinahe wie ein Echo.